Vario-Prakticar

Die Vario-Prakticare

Während Zoomobjektive auf westlichen Märkten in den 1980er Jahren zur Massenware gerieten, verteilte Zeiss Jena seine beiden Eigenentwicklungen in geradezu homöopathischen Dosen...

Vario-Pancolar

Das Vario-Pancolar 2,7-3,5/35-70

In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre zeichnete sich ein neuer Trend im Amateurphotobereich ab: Von Japan ausgehend begann das Vario-Objektiv den Markt in den USA und Westeuropa zu erobern. Schon seit zehn Jahren war es als "Gummilinse" standardmäßig in fast allen Super 8 Schmalfilmkameras eingebaut. Doch nun setzte es sich sukzessive auch im Photobereich durch, und zwar unter der aus dem Amerikanischen übernommenen Bezeichnung Zoom auch wenn diese in Deutschland anfänglich fast durchwegs falsch ausgesprochen wurde ("Tsohm").


Damit war zwar einerseits ein Anfang gemacht, andererseits enttäuschten die frühen Modelle oft durch eine aus heutiger Sicht geradezu haarsträubende Abbildungsqualität, die in den Fachzeitschriften regelmäßig heftig kritisiert wurde. Auch in den vergleichenden Untersuchungen der damals maßgeblichen Stiftung Warentest erzielten diese Zooms zunächst nur mäßige Noten. Dem Photoamateur mit seinen postkartengroßen Abzügen fiel dies jedoch nur in den seltensten Fällen auf. Außerdem wurden die Konstruktionen wörtlich im Jahresrhythmus verbessert. Die Fortschritte waren enorm und die Patentliteratur zu Zoomobjektiven aus dieser Zeit ist geradezu unüberschaubar. Technische Sackgassen, wie nicht-parfocale Konstruktionen, bei denen sich beim Zoomen stets die Bildschärfe verstellte, verschwanden rasch vom Markt. Es setzten sich bald im wesentlichen zwei Typen an Zoomobjektiven durch: Ein später als Standardzoom bezeichneter Typus, der quasi das Normalobjektiv zu ersetzen begann, und zuerst den Brennweitenbereich 35-70 mm und später im Laufe der 1980er Jahre auch etwa 28-80 mm überstrich. Zweitens der Typus des Telezooms im Brennweitenbereich von etwa 70-210 oder 80-200 mm. Diese beiden Varianten erlebten in den 80er Jahren enorme Umsatzzuwächse, weil sie vom Amateur für sich entdeckt und zunehmend gegenüber festbrennweitigen Zusatzobjektiven bevorzugt wurden.

Vario Prakticar 2,7-3,5/35-70

Dieser Trend war natürlich auch der DDR-Photoindustrie und dem Außenhandel nicht verborgen geblieben. Mit dem Pentovar 2/30-120 mm, das Anfang der 50er Jahre unter Robert Geißler im VEB Zeiss Ikon für professionelle kinematographische Aufnahmen entwickelt worden war, muß die junge DDR sogar als ein Pionier im Bereich der Varioobjektive angesehen werden. Zwar wurden Mitte der 60er Jahre Patente für ein im Stillbildbereich verwendbares Zoomobjektiv angemeldet, aber eine Produktion fand indes nicht statt. Es dauerte bis in das Jahr 1976, daß sowohl im VEB Zeiss JENA, als auch im VEB Feinoptisches Werk Görlitz die Notwendigkeit für eine "DDR-eigene" Reihe an Zoomobjektiven erkannt und an entsprechenden Konzeptionen gearbeitet wurde. Zwischenzeitlich hatte der DDR-Außenhandel begonnen, auf dem NSW-Markt zwei Zoomobjektive der Japanischen Firma Sigma unter dem Markenzeichen "Pentacon" zu vertreiben. Zu diesem Zweck wurde offensichtlich auch die Verwendung der damals noch patentgeschützen elektrischen Blendenwertübertragung lizensiert.

Vario-Prakticar 3,5/35-70

Dadurch also, daß zunächst Fremdhersteller die Angebotslücke an Zoomobjektiven ausfüllten, ließ sich zumindest für den westlichen Praktica-Kunden verschleiern, daß die DDR keine eigenen Produkte in diesem Bereich zu bieten hatte. Doch damit konnte sich der DDR-Photogerätebau nicht zufrieden geben, da der DDR-Außenhandel natürlich mit eigenen Produkten westliche Währung verdienen wollte, statt Japanische Erzeugnisse zu vertreiben. Im VEB Carl Zeiss JENA wurde daher im April 1979 die Berechnung eines ersten eigenen Standardzooms für das Kleinbildformat mit den Daten 3,5/35-70 mm fertiggestellt. Dieses Objektiv zeichnete sich zwar durch ein über den gesamten Zoombereich konstant gehaltenes Öffnungsverhältnis aus, war aber mit 11 Linsen in 10 Gruppen sehr aufwendig aufgebaut. Außerdem war es gegenüber zeitgenössischen Konkurrenzerzeugnissen (wie dem Minolta 3,5/35-70) viel zu groß und viel zu schwer.

Minolta Rokkor 35-70 mm

So sah Ende der 70er Jahre der Maßstab für ein Standardzoom aus: Das Minolta MD Rokkor 3,5/35-70 mm war damals eine Sensation, denn im Vergleich zur Konkurrenz (wie dem zeitgenössischen Zoom-Nikkor 3,5/35-70 mm) war es kompakt aufgebaut und durch seine lediglich acht Linsen auch nicht übermäßig schwer. Die konstante Lichtstärke, die für die Kameras mit Nachführmessung sehr wichtig war, wurde auf rein mechanischem Wege erreicht, indem sich beim Verstellen der Brennweite von Tele auf Weitwinkel die Blende leicht schloß. Das verkomplizierte den mechanischen Aufbau stark. Für Kameras mit Zeitautomatik wurde in den 80er Jahren zunehmend auf eine durchgängig konstante Lichtstärke verzichtet.

Im Jahr darauf war man dann bei Zeiss Jena von der Prämisse einer durchgängigen Lichtstärke abgegangen und stellte die Rechnung eines Vario-Pancolars 2,8-3,5/35-70 fertig. Doch trotz einer Nullserienproduktion im zweistelligen Bereich folgte keine Aufname der Serienproduktion. Aus der Tatsache heraus, daß sogar bereits Prospekte für die Vorstellung auf der Leipziger Messe gedruckt worden waren [Vgl. Koch et al.: Variables aus der DDR; in: Photo Antiquaria Nr. 141, 12/2019, S. 33.], könnte man schlußfolgern, daß Zeiss Jena dieses Objektiv am Ende aus lizenzrechtlichen Gründen nicht auf den Markt bringen konnte. Immerhin waren Zoomobjektive nach dem im oben gezeigten Linsenschnitt ersichtlichen Aufbau, bei dem die zerstreuend wirkende Frontgruppe mit einer Sammellinse beginnt, patentrechtlich bereis stark abgesichert. So zum Beispiel von der Firma Nippon Kogaku für das Zoom-Nikkor 3,5/35-70 mm mit dem Bundespatent Nr. 2.557.547 vom Dezember 1975 oder einem Pentax Zoom 3,5-4,5/28-50 mm nach der Patentschrift DE2.720.986 vom Mai 1977.

DD235.122 Vario-Pancolar

Bei Zeiss Jena ging man daher in der Folgezeit gänzlich von diesem Aufbau ab und wechselte zu einem Konstruktionstypus, bei dem das vordere Glied mit einer negativen Frontlinse beginnt. Bei diesem Aufbau hatten die Konkurrenzfirmen bislang Schwierigkeiten, das Ausbrechen der Abbildungsfehler beim Ändern der Brennweite oder die Verzeichnung im Weitwinkelbereich im Zaume zu halten. Außerdem hatten diese Zoomobjektive entweder eine unzumutbare Baulänge oder aber verlangten nach teuren Lanthangläsern, wenn höhere Lichtstärken erzielt werden sollten. An dieser Stelle scheint es für Carl Zeiss Jena einen Anknüpfungspunkt gegeben zu haben, das hauseigene Standardzoom durch eine ausreichende Erfindungshöhe schutzrechtlich abzusichern. Mit dem DDR-Patent Nr. 235.122 vom 1. März 1985 war es Utz Schneider, Volker Tautz und Karin Holota gelungen, die Lichtstärke für ein solches Objektiv über den Wert 1:2,8 im Weitwinkelbereich zu steigern, ohne auf hochbrechende Spezialgläser rückgreifen zu müssen. Neben den 8 Linsen in 7 Gruppen fällt dabei besonders die Planplatte als Abschluß des optischen Systems auf, die neben einer mechanischen Schutzwirkung für das System dessen Bildfeldebnung verbessert. Lediglich in der Linse Nummer 2 kam mit dem Lanthankronglas LaK75n ein erst kurz zuvor neu entwickeltes optisches Glas zum Einsatz. Mit seiner Brechzahl von 1,6965 bei einem ny-Wert von 53,3 ersetzte es das bisherige Schwerstkron SSK10, von dem es sich durch seine besseren Transmissionswerte sowie der Freiheit von Thoriumverbindungen unterschied.

Immer wieder lohnt sich bei Objektiven der Blick auf die verwendeten Glasarten, um eine grobe Einordnung wagen zu können. Am Beispiel des Vario-Pancolars erkennt man, wie mit Hilfe von zwar "hochwertigen", aber keinesfalls extremen Gläsern durch geschickte Konstruktionsarbeit eine sehr gute Leistung erzielt werden konnte. Wie schon erwähnt, war das LaK75n als SSK10-Ersatz neu. Die Frontlinse und der sammelnde Meniskus vor der Blende bestehen aus den Lanthan-Schwerkronen SK22 und SK24, die seit den 50er Jahren die Grundlage für hochwertige Objektive wie den Pancolaren gewesen sind. Interessant auch das Schwerstkron SSK5 in der letzten Linse, das als das Spitzenglas der 1930er Jahre betrachtet werden kann. Die Planplatte besteht aus dem berühmten Prismenmaterial BK7.

Vario-Pancolar scheme

Die Berechnung des Vario-Pancolars wurde zwar bereits am 6. Oktober 1983 fertiggestellt, die Vorstellung erfolgte aber erst auf der Herbstmesse 1986 bzw. Frühjahrsmesse 1987. Nicht die Herstellung der optischen Komponenten, sondern der Objektivfassung bereitete große Probleme und zögerte daher die Produktionsüberführung hinaus. Die Fräsung der Kurven für die Zoommechanik mußte mit höchster Präzision ausgeführt werden, wofür in Saalfeld erst einmal eine entsprechende Herstellungstechnologie aufgebaut werden mußte. Dasselbe traf auch auf die unabdinglichen Verfahren und Gerätschaften zur Justage und Prüfung des Objektivs zu. Der trotzdem recht beträchtliche Montage- und Prüfaufwand vereitelte eine Fertigung in Großserie.

Vario-Pancolar 1988
Vario-Pancolar 1988

Zwei geringfügig unterschiedliche Messeprospekte mit Druckvermerken von 1986 (unten) und 1987 (oben). Es muß sich bei der Abbildung um Musterobjektive gehandelt haben, denn die Fertigung der Nullserie erfolgte laut Thiele erst ab Juli 1987. 

Aus diesen Schwierigkeiten heraus konnten letztlich vom Vario-Pancolar mit M42- bzw. Vario-Prakticar mit Praktica B-Anschluß innerhalb von etwas mehr als drei Jahren insgesamt nur reichlich 4000 Stück gefertigt werden. Um diese Gesamtmenge ins Verhältnis zu setzen: Die damit bestückbaren 4000 Spiegelreflexkameras liefen damals in Dresden innerhalb von nur etwa drei Werktagen vom Band! [Vgl. dazu Jehmlich, Pentacon, 2009, S. 131.] Von einer Alternativbestückung zum Normalobjektiv konnte also nicht einmal im Entferntesten die Rede sein. Vor diesem Hintergrund betrachtet, erübrigte sich seinerzeit auch eine breitere Debatte darüber, daß dieses Zoomobjektiv mit einem Preis von 1530,- (M42) bzw. 1570,- Mark (Bajonett) etwa 400 Mark teurer ausgefallen war, als ein Gehäuse der gerade neu erschienenen Praktica BX20. Daß für ein Standardzoom mehr als für die zugehörige Kamera gezahlt werden muß, das dürfte seinerzeit auf dem internationalen Photomarkt ein einmaliger Fall gewesen sein.


Daß das Vario-Pancolar vom Budget eines Fotoamateurs weit entfernt war, spielte auch insofern keine Rolle, als es in den DDR-Photoläden ohnehin kaum zu haben gewesen sein wird. Bevor nämlich dieses Zoomobjektiv überhaupt auf den sprichwörtlichen heißen Stein tröpfeln konnte, wurde es zu allem Unglück auch noch von der DDR-Exportwirtschaft abgefangen. Als Facit ist daher zu konstatieren: Während auf westlichen Märkten das Standardzoom Ende der 80er Jahre bereits das Normalobjektiv als Grundausstattung ersetzt hatte und durch ein Überangebot von Drittanbietern auch bereits zum bezahlbaren Massenartikel geworden war, blieb es für den DDR-Photoamateur ein unerreichbarer Traum.

"Kameras für alle" Was wird sich der DDR-Bürger wohl gedacht haben, wenn er Produkte, die in seinem Land allenfalls "über Beziehungen" erhältlich waren, im Quelle-Katalog wiederentdeckte, wo sie billig verschleudert wurden. Schon im nächsten Katalog war der Preis des Jenaer Zooms von 355,- DM auf 290,- DM herabgesetzt worden, wobei die deutliche Preislücke zur Kamera fast konstant blieb. Interessant zudem, daß nun die Herstellerbezeichnung nicht mehr wegretuschiert wurde.

Bei der Verwendung des Vario-Pancolars an Modellen der Praktica L-Reihe ist übrigens zu beachten, daß die Belichtungsmessung erst nach der endgültigen Festlegung der Brennweite erfolgen sollte, da beim "Heranzoomen" die Lichtstärke schließlich um fast einen Blendenwert abnimmt. In diesem Grundproblem lag übrigens die Ursache, weshalb bei frühen Zoomobjektiven viel Wert auf eine konstant bleibende Lichtstärke gelegt wurde. Professionelle Kameras wie die Nikon F2 und hochwertige Amateurkameras wie die Minolta SRT-Reihe arbeiteten noch lange Zeit mit einer sogenannten Nachführmessung. In der DDR wurde dieser Art der Belichtungsmessung, bei der die Verschlußzeit- und Blendeneinstellung zwar miteinander verkuppelt sind, aber von Hand gegeneinander abgeglichen werden müssen, Belichtungshalbautomatik genannt. Bei Praktica B-Kameras mit Zeitautomatik wurde dieser Lichtabfall beim Auslösen dagegen stets automatisch berücksichtigt, weshalb eine Verringerung der Lichtstärke beim Zoomen weniger problematisch war.

Vario-Pancolar Praktica MTL50

Erwähnenswert ist noch, daß auf der Grundkonstruktion dieses Vario-Pancolars basierend im Kombinat Zeiss JENA ab 1986 auch ein Zoom 3,5-4,8/35-70 mm abgeleitet wurde, das bei einer um etwa eine Blendenstufe herabgesetzten Lichtstärke in großen Stückzahlen im VEB Feinoptisches Werk Görlitz für den Massenbedarf produziert werden sollte. Doch auch hier bereitete letztlich die Fertigung der Objektivfassung derartige Probleme, daß das gesamte Projekt so lange verschleppt wurde, bis es die Ereignisse im Zuge des Mauerfalls gänzlich hinfällig werden ließen.

Nachdem also ab 1986 die Dringlichkeit für eine DDR-eigene Zoomobjektivfertigung hochgestuft worden war, soll das Kombinat Zeiss JENA intensiv nach Kooperationspartnern in der Japanischen Photoindustrie gesucht haben. Von optischen Berechnungen für Firmen wie Sigma im Austausch mit hochspezialisierten Metallverarbeitungsmaschinen ist die Rede. Über die Hintergründe ist aber damals wenig bekannt geworden, weil die entsprechenden Maschinen aufgrund ihrer prinzipiellen Verwendbarkeit in der Rüstungsfertigung eigentlich auf der Embargo-Liste standen. Im Hinblick auf diese ein wenig um Dunkeln liegende Zusammenarbeit Zeiss Jenas mit japanischen Firmen ist auch das oben gezeigte "Auto Chinon Zoom 2,7-3,5/35-70 mm" interessant, das bis hin zur Makrofunktion große Ähnlichkeiten mit dem Vario-Pancolar aufzuweisen hat. Ob es sich um reine Zufälle handelt, oder die oben angedeuteten mündlichen Insiderauskünfte wirklich zutreffen, das kann ich bislang noch nicht mit Gewißheit sagen.

Oben in Figur 2 die Kurven der sphärochromatischen Längsabweichung für drei Lichtfarben, in Figur 3 für den Astigmatismus und die Wölbung sowie in Figur 4 die Verzeichnung jeweils für drei Brennweitenstellungen. Die sphärische und astigmatische Korrektur ist für ein Zoomobjektiv der damaligen Zeit außergewöhnlich gut (der Maßstab der Abweichung ist 1/10 Promille der Brennweite!). Nicht unerheblich ist jedoch das Ausmaß der Verzeichnung, die im Prozenztbereich liegt.

Das Jena Vario-Pancolar 2,7-3,5/35-70mm zeigt für ein Zoomobjektiv aus den 80er Jahren eine ausgesprochen gute Bildleistung. Schärfe und Kontrast sind bereits bei offener Blende kaum von Festbrennweiten zu unterscheiden. Nur die ausgeprägt tonnenförmige Verzeichnung im Weitwinkelbereich würde man so heute nicht mehr tolerieren. Praktica BX20, Portra 400.

Vario-Pancolar 2,7-35mm

Die Leistungsfähigkeit von Objektiven zu testen ist an und für sich ein hochkomplexes Metier. Die lange Zeit üblichen objektiven Verfahren, bei denen das vom Objektiv erzeugte Luftbild oder aber Aufnahmen auf hochauflösenden Platten mikroskopisch ausgewertet wurden, fanden seit den 1960er Jahren zunehmend Ablösung durch objektive Meßverfahren. Beruhigend sollte für uns sein, daß sich in den Zeiss-Unterlagen immer wieder Beispiele dafür finden, wie die Konstrukteure mit ihren Musterobjektiven einfach Landschaftsaufnahmen auf feinkörnigen Filmen gemacht haben, um sich rasch ein Bild von den praktischen Abbildungseigenschaften ihrer Schöpfungen zu verschaffen. Dieses Vorgehen läßt sich durchaus auch theoretisch begründen, da das Objektiv schließlich Teil einer ganzen Abbildungskette ist, bei denen zu analogen Zeiten stets auch das Aufnahmematerial, die Entwicklung usw. als Parameter einbezogen werden mußten. Es ist also gar nicht völlig amateurhaft, mit unseren Objektiven einfach Bilder von möglichst weit entfernten Gegenständen anzufertigen. Bei diesen beiden Aufnahmen wurde das Vario-Pancolar eingestellt auf 35 mm Brennweite oben bei voller Öffnung verwendet und unten bei Blende 5,6. Man erkennt, daß die bei voller Öffnung noch geringfügig vorhandenen Überstrahlungen zurückgehen und insbesondere die Bildecken schärfer ausgezeichnet werden bei geringerer Vignettierungen. Trotzdem würde es niemand ablehnen, auch die obige Aufnahme in sein Photoalbum zu kleben. Für das Konstruktionsjahr 1983 ist das durchaus beachtlich.

Vario-Pancolar 5,6-35mm
Vario-Pancolar (2,7)

Auch der Blick ins Detail zeigt, daß zwischen voller Öffnung und mittlerer Abblendung eine ziemlich konstante Leistung erreicht wird.

Vario-Pancolar (5,6)
Vario-Pancolar 70 mm 2,7

Deutlich größer fallen die Unterschiede bei der Brennweite 70 mm aus. Bei voller Öffnung ist die Abbildung insgesamt durch eine "duftige Unschärfe" überlagert, was sich ziemlich gut mit den stark ausbrechenden sphärischen Kurven in Übereinstimmung befindet, die in der Patentschrift angegeben sind. Bei Abblendung um zwei Stufen verschwindet diese Erscheinung. Insgesamt ein typisches Verhalten für ein Zoomobjektiv aus "analoger Zeit".

Vario-Pancolar 70 mm 5,6

Bei Einstellung der Brennweite auf 70 mm und weiter Öffnung der Blende ist unser Vario-Pancolar hervorragend als Portraitobjektiv geeignet. Die hohe Lichtstärke von 1:3,5 hat den angenehmen Effekt, daß auch im Tele-Bereich die Meßkeile des Bildeinstellsystems der Praktica-Kameras nicht abdunkeln und daher ihre volle Nutzbarkeit aufrechterhalten wird, was angesichts der leichtgängigen Frontlinseneinstellung die Handhabung sehr angenehm macht.

Im Dezember 1989 lief nach über 20 Jahren die Herstellung der Praktica L-Reihe aus. Plötzlich wurde das Vario-Pancolar 35-70 mm mit M42-Anschluß in den Ausverkauf gebracht. Deshalb hatte ein Kunde in Flöha die Gelegenheit, an ein Exemplar dieses vorher schwer erhältlichen Objektives zu gelangen. Nur zwei Monate zuvor hatte es das Werk Saalfeld verlassen.

Das Vario-Sonnar 4/80-200 mm

Auch an einem Telezoom, das gewissermaßen den Anschluß des oben beschriebenen Standardzooms in Richtung längerer Brennweiten bilden sollte, wurde vergleichsweise früh gearbeitet. Eine erste Rechnung konnte bereits im Juni 1980 abgeschlossen werden. Doch wie beim Vario-Pancolar erfolgte zunächst keine Fertigung. Erst nachdem im September 1984 noch einmal eine völlige Überarbeitung erfolgt war, konnte ein vergleichsweise kompaktes Telezoom auf dem Stand der damaligen Zeit verwirklicht werden.

Vario-Sonnar 4/80-200mm

Schöpfer dieses Vario-Sonnars waren Harald Maenz und Christine Thiele (später Schmöller). Patentiert wurde es unter der Nummer DD232.768 am 1. Oktober 1984 unter dem Titel "Fotografisches Aufnahmeobjektiv veränderlicher Brennweite mit erweitertem Fokussierbereich". Ziel war, bei optimaler Korrektur mit lediglich zwölf Linsen auszukommen sowie eine gute Naheinstellgrenze zu erzielen. Im Gegensatz zur Patentschrift wurden beim tatsächlich produzierten Objektiv die Linsen 9 und 10 miteinander verkittet.

DD232768 Vario-Sonnar

Grundlage für die Entwicklung eines derartig leistungsfähigen Telezooms war, daß es im Kombinat Zeiss Anfang der 80er Jahre erst eine neue Materialbasis für zeitgemäße Hochleistungsobjektive geschaffen worden war. Zur Frühjahrsmesse 1981 waren zwei neue Glasarten vorgestellt worden, die sich durch verbesserte Eigenschaften auszeichneten. Einmal war dies das oben bereits angesprochene Lanthankronglas LaK75n als Ersatz für das bisherige Schwerstkron SSK10. Für das langbrennweitige Vario-Sonnar war aber ein deutlich aufwendigerer Materialeinsatz nötig. Hierfür wurde gleich in vier der zwölf Linsen das neu geschaffene Lanthan-Schwerkron LaSK3 eingesetzt, das bei einem ny-Wert von 52,0 eine sehr hohe Brechzahl von 1,7344 zu bieten hatte. Es wurde als Ersatz für das bisherige Schwerstkron SSK11 gesehen, obwohl es nicht ganz dessen hohe Brechzahl erreichte. Dafür war es jetzt thoriumfrei und konnte wegen der sehr hohen Transparenz bedenkenlos gleich in mehreren Linsen beliebiger Dicke eingesetzt werden. Speziell für den Einsatz in langbrennweitigen Objektiven hatte wohl auch eine positive Wirkung, daß durch den in Teilbereichen anomalen Dispersionsverlauf des neuen Glases das Beherrschen des sekundären Spektrums erleichtert wurde. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb die Vorgängerrechnungen nicht in Serie produziert wurden, da ohne die neuen Glasarten einfach nicht auszukommen war.

Vario-Sonnar 4/80-200 scheme

Im Patent sind die Kurven für die sphärische Aberration in Abhängigkeit von der Brennweite und für drei verschiedene Farben angegebenen (Fig. 2). Deren Verlauf läßt eine hervorragende sphärochromatische Korrektur erkennen, die auf dem Niveau bester Festbrennweiten gelegen hat. Von einem sekundären Spektrum im üblichen Sinne läßt sich hier kaum noch sprechen. Die rote Cadmium-Linie C' bleibt stets in enger Nachbarschaft zum grünen und blauen Bild. Japanische Hersteller hätten diesem Objektiv sicherlich ein "Apo" aufgraviert. Auch das Ausmaß des Zweischalenfehlers (Fig. 3) ist bemerkenswert gering (man beachte dabei den Maßstab der Abszissenachse, der hier fünfmal kleiner ist als oben beim Vario-Pancolar). Selbst die Verzeichnung (Fig. 4) konnte für ein derartiges Zoomobjektiv auf ein sehr niedriges Niveau gebracht werden.

DD232768 Vario-Sonnar Bildfehler

Unten sind einmal die Verstellwege der beiden mittleren Gruppen dieses Vario-Sonnars gezeigt, die letztlich die Brennweitenänderung bewerkstelligen [nach Haferkorn: Optik, 2003, S. 648.]. Der vordere, dreilinsige Variator mit seiner zerstreuenden Wirkung ist für die Veränderung der Äquivalentbrennweite des Gesamtobjektivs verantwortlich, der dahinter folgende zweilinsige Kompensator hat die Aufgabe, das Bild bei jeder Einstellung der Brennweite in derselben Ebene entstehen zu lassen. Davor befindet sich eine dreilinsige Frontgruppe mit sammelnder Wirkung, die zur Fokussierung verstellbar ist. Im Bereich der Blende folgt als letztes ein insgesamt vierlinsiges Grundobjektiv, in dem wunderbar die essentielle Bauform eines Teleobjektivs erkennbar ist.

Jena Vario-Sonnar

Solch ein Telezoom ist also prinzipiell recht übersichtlich aufgebaut. Man muß sich daher auch nicht wundern, wenn sich die Schnittbilder derartiger Objektive von verschiedenen Herstellern zum verwechseln ähnlich sehen. Die Schwierigkeiten im Detail beziehen sich natürlich auf die exakte Verteilung der Brechkräfte und die Beherrschung der Aberrationen. Vor allem in der längsten Brennweite spielen sphärochromatische Fehler eine große Rolle. Dazu waren nicht nur diese sehr hochbrechenden Gläser notwendig, sondern auch solche mit abweichenden Teildispersionen. Daß das Grundobjektiv ebenfalls LaSK3 enthält, wird in der Abbildung oben gar unterschlagen. Der umfassende Einsatz von Lanthankron- und Lanthan-Schwerkron Gläsern vor allem im Bereich der Frontgruppe mit ihren großen Durchmessern ließen das Vario-Sonnar für DDR-Verhältnisse materialmäßig ungewöhnlich aufwendig werden. Aus diesem Umstand dürfte sich nicht nur die verzögerte Markteinführung erklären, sondern letztlich auch die nur sehr geringen Stückzahlen und der exorbitante Verkaufspreis.

Vario-Sonnar Vario-Prakticar

Vario-Sonnar (links) und Vario-Prakticar 4/80-200 (rechts) im Vergleich. Bild: Reinhard Kuttner

Denn als dieses Telezoom, nachdem Anfang 1987 zunächst nur 30 Messeexemplare gefertigt worden waren, endlich im Juli 1988 mit den ersten 200 Stück in Serie ging, müssen sich die Betrachter der Schaufenster in den Zeiss-Industrieläden verwundert die Augen gerieben haben, als dort die ersten Exemplare ausgestellt wurden: 2530,- DDR-Mark sollte das "Vario-Sonnar 4/80-200 mm" für M42-Kameras kosten und 2570,- Mark das "Vario-Prakticar" für Praktica-Bajonett. Das war für den DDR-Photoamateur natürlich absolut unerschwinglich. Doch dieses Problem dürfte sich in der Praxis kaum bemerkbar gemacht haben, denn es war aussichtslos, ohne besondere Beziehungen an ein Exemplar dieses Telezooms zu gelangen. In den zweieinhalb Jahren bis Dezember 1990 wurden nur 1730 Stück mit Gewindeanschluß und 2250 mit Bajonett gefertigt. 

Vario-Sonnar 1988
Vario-Sonnar 1988

Unten noch ein Aufsatz von Volker Tautz zu den beiden neuen Vario-Prakticaren im Jenaer Jahrbuch 2/1989, der die obigen Ausführungen zum Aufbau beider Objektive noch einmal präzisiert. Man erkennt aber auch, daß angesichts eines Rechnungsabschlußdatums vom Oktober 1983 bzw. vom September 1984 das Vario-Pancolar 35-70 und das Vario-Sonnar 80-200 im Jahre 1989 nun schon ziemlich aus der Zeit gefallen waren. Von den breiten Paletten an Autofokus-Zooms, die gerade in Japan herausgebracht wurden, war all dies bereits wieder weit entfernt. 

Vario-Prakticare, Jenaer Jahrbuch 2-1989
Vario-Prakticare, Jenaer Jahrbuch 2-1989
Vario-Prakticare, Jenaer Jahrbuch 2-1989

Ein Prakticar 4-5,6/70-200 mm

Noch im Jahr der Wende hatten Harald Maenz und die offenbar mittlerweile als Schmöller verheiratete Christine Thiele ein Telezoom entwickelt, das im Unterschied zum oben beschriebenen Vario-Sonnar keine über den Brennweitenbereich konstante Lichtstärke aufzuweisen hatte. Diese Prämisse war notwendig, um ein deutlich kompakteres Objektiv schaffen zu können. Dazu wurde zu einer anderen Bauweise des Telezooms gewechselt, bei der das Objektiv, wenn es Richtung längerer Brennweite eingestellt wird, auch mechanisch länger wird, im Gegensatz zum bisherigen Typ, bei dem die Baulänge immer gleich blieb. Das Zeiss Prakticar 4-5,6/70-200 mm, von dem sich nur ein Prototyp erhalten hat [Bild aus:. Koch et al.: Variables aus der DDR; in: Photo Antiquaria Nr. 141, 12/2019, S. 36.], wurde im DDR-Patent Nr. 288.902 geschützt, das am 2. November 1989 angemeldet wurde also genau eine Woche vor dem Mauerfall.

Zeiss Prakticar 70-200 mm Prototyp

Die Konstruktionsleistung Meanz' und Schmöllers lag darin, die Baulänge der Optik bei jeder Brennweiteneinstellung konstant zu halten und dabei auf das 0,45-fache der längsten Brennweite zu begrenzen, also auf reichlich 91 mm. Dazu war ein Aufwand von 13 Linsen notwendig, wobei das unten gezeigte Achsenschnittbild wissen läßt, daß sich der Grundaufbau eng am fünf Jahre zuvor entwickelten Vario-Sonnar orientierte. Neu war die bikonvexe Sammellinse Nr. 7 im Kompensator-Teil.

DD288902 Prakticar 70-200.jpg

Interessant ist zu sehen, wie sich im Vergleich zum Vario-Sonnar der Glaseinsatz im Detail verändert hat. Seit den späten 1970er Jahren wurden vom VEB Jenaer Glaswerk auch schwere Lanthan-Flint-Gläser zur Verfügung gestellt. In den Linsen 3 und 12 ist das ein noch niedrig dispergierendes Flintglas mit einer Brechzahl von 1,7; in Linse 11 jedoch das sehr schwere LaF 774/405, das auch in der ersten Version des Prakticar 1,4/50 zum Einsatz kam. Dieser Materialeinsatz sorgte dafür, daß das Grundobjektiv nun aus deutlich höher brechenden Glasarten bestand als zuvor beim Vario-Sonnar, was sicherlich einen Schlüssel zur Verkürzung der Baulänge der Optik gebildet hat.

Prakticar 70-200 Prototyp

In der Patentschrift zu diesem Telezoom sind zur Illustration der Bildleistung nicht mehr Aberrationskurven, sondern Darstellungen der Kontrastübertragungsfunktion D beigefügt; und zwar achsennah, für einen mittleren sowie für den vollen Bildwinkel bei drei verschiedenen Brennweiten. Auf der Abszisse ist das Auflösungsvermögen in Linien je Millimeter abgetragen. Die gestrichelten Kurven zeigen offenbar eine um 90 Grad gedrehte Spaltausrichtung. Diese Art der Darstellung ist für den Laien nur noch eingeschränkt interpretierbar. Dabei sind in diesen "MÜF" Aussagen zur Wiedergabe grober Strukturen, die eine Abschätzung der Brillianzleistung des Objektivs zuläßt, genau so enthalten, wie solche zur Schärfeleistung bei feinen Bildeinzelheiten. Vorgabe der Entwicklung war laut Patentschrift, daß bei einer Ortsfrequenz von 25 Linien je Millimeter die Kontrastübertragung 20 % nicht unterschreiten sollte.

Zeiss Prakticar 70-200 Prototyp

Wir können getrost davon ausgehen, daß dieses nicht mehr serienmäßig verwirklichte Zeiss Prakticar 4-5,6/70-200 mm keinesfalls schlechter gewesen sein wird als all die anderen, sehr ähnlich gelagerten Zoomobjektive dieser Bauart, die zur damaligen Zeit im Angebot waren. Doch genau darin lag das Problem: Diese Art der Telezoom-Objektive gab es Ende der 1980er Jahre bereits zuhauf auf dem Weltmarkt. Ein solches Objektiv im Jahre 1989 noch für eine Manuellfokuskamera neu zu entwickeln, zeigt, welchen Rückstand die gesamte DDR-Photoindustrie damals bereits zum internationalen Trend hatte. In den Herstellerkatalogen, Fachzeitschriften, Testheften, Einkaufsberatern usw. jener Zeit ist schon fast nur noch von der neuen Autofokus-Technik die Rede. Im Bereich der manuell zu fokussierenden Objektive herrschte dagegen bei fallender Nachfrage enormer Konkurrenzdruck was Preis und Leistung anbetraf. Kein Wunder, daß ein Zoomobjektiv, das ganz offensichtlich hauptsächlich auf den DDR-Inlandsmarkt abzielte, sang und klanglos in der Schublade verschwand, nachdem die Tür zur Welt nun einmal aufgestoßen worden war.

Tamron 58A und 59A

Marco Kröger


Letzte Änderung: 16. August 2024